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Persönlichkeitsrecht Ehrverletzung – Politikerin darf nicht als „durchgeknallte Frau“ bezeichnet werden

12. Januar 2015

Es ging um Äußerungen über die frühere Landrätin von Fürth, Gabriele Pauli auf dem Online-Portal „bild.de“. Die Äußerungen wurden dort vom Kolumnisten in Form eines Briefes an die Politikerin, der auf umstrittene Fotos in einem Magazin anspielte, veröffentlicht.

Rechtlich ging es insbesondere um die Bezeichnung als „durchgeknallte Frau“, gegen die sich Frau Pauli auch vor Gericht wehrte und Unterlassung verlangte. Im Jahre 2012 war Frau Pauli mit ihrer Klage vor dem Oberlandesgericht (OLG) München gescheitert. Dagegen erhob sie Verfassungsbeschwerde.

„durchgeknallt“ Ehrverletzung? – konkrete Umstände entscheiden

Der Fall hatte Parallelen zu einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Äußerung „durchgeknallter Staatsanwalt“ BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 12. Mai 2009 – 1 BvR 2272/04 -, in dem es allerdings um ein Strafverfahren ging.

In Randnummer 19 sagt das Gericht zum Verständnis einer Äußerung:

„Maßgeblich für die Deutung einer Äußerung ist die Ermittlung ihres objektiven Sinns aus Sicht eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums. Dabei ist stets vom Wortlaut der Äußerung auszugehen. Dieser legt ihren Sinn aber nicht abschließend fest. Er wird vielmehr auch von dem sprachlichen Kontext, in dem die umstrittene Äußerung steht und von den erkennbaren Begleitumständen, unter denen sie fällt, bestimmt. Die isolierte Betrachtung eines umstrittenen Äußerungsteils wird den Anforderungen an eine tragfähige Sinnermittlung regelmäßig nicht gerecht (BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 12. Mai 2009 – 1 BvR 2272/04 -, NJW 2009, S. 3016 m.w.N.).“

Das heißt, zu beachten sind neben dem Wortlaut die konkreten Umstände des Einzelfalls, um eine Meinungsäußerung als ehrverletzend beurteilen zu können.

Abwägung zugunsten Persönlichkeitsrecht – Unterlassungsanspruch

Das Bundesverfassungsgericht sah nach Abwägung  mit der Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 S. 1 Grundgesetz) das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 Grundgesetz) von Frau Pauli durch die Entscheidung des OLG München verletzt. Die Richter hoben daraufhin die Entscheidung des OLG München auf und wiesen Sie zur erneuten Entscheidung zurück.

Die Äußerung „durchgeknallte Frau“ sei eine rein spekulative Behauptung,

„die thematisch den innersten Intimbereich betreffen, ohne dass diese Spekulationen irgendeinen Tatsachenkern hätten. Sie knüpfen zwar an das Verhalten der Beschwerdeführerin an, die für ein Gesellschaftsmagazin posierte und eine Serie von Fotos von sich fertigen ließ, weswegen sich die Beschwerdeführerin eine Auseinandersetzung hiermit auch gefallen lassen muss. Die von der Beklagten hieraus gezogenen Folgerungen, die sie mit den Worten „durchgeknallte Frau“ zusammenfasst, haben jedoch als solche keinerlei Anknüpfungspunkt in dem Verhalten der Beschwerdeführerin. Die Beklagte zielt hier vielmehr bewusst darauf, die Beschwerdeführerin nicht nur als öffentliche Person und wegen ihres Verhaltens zu diskreditieren, sondern ihr provokativ und absichtlich verletzend jeden Achtungsanspruch gerade schon als private Person abzusprechen.“

Das Gericht sah den Text nicht mehr von der Meinungsfreiheit gedeckt, auch da er bewusst und provozierend geschrieben und ehrverletzend gewollt war und nicht spontan und emotional geladen, wie im Fall des „durchgeknallten Staatsanwalts“.  Daher darf die Politikerin in Zukunft nicht mehr so bezeichnet werden.

Fazit:

Die Verfassungsrichter stärken den Ehrschutz bezüglich der Intimsphäre und weisen das Grundrecht der Meinungsfreiheit in ihre Schranken. Es wird abermals deutlich, dass die Abwägungsentscheidung zwischen Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsrecht je nach Einzelfall unterschiedlich ausfallen kann.

Die Entscheidung kann allerdings in der Begründung nicht überzeugen. Schon die Einordnung in die Intimsphäre wirft Fragen auf, hat doch Frau Pauli selbst für die Veröffentlichung der Fotos in dem Magazin gesorgt, weshalb eher die weniger schutzintensive Sozialsphäre betroffen ist. Eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts wäre dann schwerer zu begründen.

Auch ob eine Äußerung spontan oder bewusst geplant war, spielt für die tatsächliche ehrverletzende Wirkung in der Öffentlichkeit keine Rolle und kann für die Abwägung nicht entscheidend sein.

Zur Verdeutlichung: Hätte der „Bild“-Kolumnist in bewusster und geplanter Weise von der „durchgeknallten Frau“ nur in Bezug auf ihre politische Tätigkeit gesprochen, wäre auch nicht die Intimsphäre, sondern die öffentliche Sozialsphähre betroffen, die wesentlich geringeren Schutz genießt. Eine Abwägung wäre dann ebenfalls mit gewisser Wahrscheinlichkeit zugunsten der Meinungsfreiheit ausgefallen.

 

 

Bundesverfassungsgericht – Beschluss vom 11. Dezember 2013, Aktenzeichen: 1 BvR 194/13

 

 

 

 

 

 

 

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