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Pflicht zur Löschung eines nicht mehr aktuellen Artikels im Internet

Bericht im Internet über altes Strafverfahren im Zusammenhang mit Stasi-Vorwürfen ist Persönlichkeitsrechtsverletzung

In einem Urteil des OLG Hamburg geht es um einen Presseartikel im Internet über ein später eingestelltes Ermittlungsverfahren.

Geklagt hatte ein leitender Angestellter eines großen Konzerns. Im Jahre 2007 hatte die Staatsanwaltschaft gegen ihn ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, nachdem er gegenüber dem Landgericht Köln in eidesstattlichen Versicherungen angegeben hatte niemals Angestellter oder hauptamtlicher Mitarbeiter des Ministeriums für Staatssicherheit der DDR gewesen zu sein. Der Kläger war aber ausweislich einer Verpflichtungserklärung für das Ministerium für Staatssicherheit tätig.

Das Ermittlungsverfahren wurde von der Staatsanwaltschaft Ende 2008 gegen Zahlung eines Geldbetrages eingestellt.

Über das Ermittlungsverfahren berichtete ein Medienunternehmen in einem Artikel, der auf deren Internetseite veröffentlicht wurde. Nach Einstellung des Ermittlungsverfahrens wurde der Artikel aktualisiert und von der Einstellung gegen Geldauflage berichtet.

Nachdem das Medienunternehmen der Aufforderung, den Artikel von der Internetseite zu entfernen, nicht nachgekommen war, hat der Betroffene vor dem Landgericht Hamburg auf Unterlassung der Namensnennung geklagt. Nachdem die Klage abgewiesen wurde, verfolgte er im Rahmen eines Berufungsverfahrens vor dem OLG Hamburg den Unterlassungsanspruch weiter.

Persönlichkeitsrecht überwiegt Informationsinteresse der Öffentlichkeit

Das OLG Hamburg bejahte einen Unterlassungsanspruch gegen das Medienunternehmen.

Im ersten Schritt setzt sich das Gericht mit der Frage auseinander, ob der Artikel beim Erscheinen rechtmäßig war. Die identifizierende Berichterstattung in dem Artikel verletzt nach Auffassung des Gerichts den Kläger in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht.

Der Artikel enthält zwar eine Berichterstattung über die wahre Tatsache, dass ein Ermittlungsverfahren lief, das dann eingestellt wurde.   Das ist aber nicht ausreichend .

Informationsinteresse der Öffentlichkeit

Straftaten gehören zum Zeitgeschehen. Darüber dürfen die Medien berichten. Die Berichterstattung darf grundsätzlich auch Informationen über die Person des Täters enthalten, da ein anerkennenswertes Interesse der Öffentlichkeit nicht nur an Informationen über die Tat, sondern auch über den Täter besteht. Dieses Informationsinteresse der Öffentlichkeit ist umso stärker, je schwerer der Tatvorwurf ist.

Abwägung mit Persönlichkeitsrecht des Betroffenen

Da wegen der Informationen über den (mutmaßlichen) Täter sein Persönlichkeitsrecht betroffen ist, ist aber für den jeweiligen konkreten Einzelfall eine Interessenabwägung vorzunehmen. Maßgeblich ist dabei nicht nur die Schwere der vorgeworfenen Tat, sondern sind auch Umstände in der Person des (mutmaßlichen) Täters, die ein besonderes Interesse der Öffentlichkeit begründet, etwa seine Stellung in der Gesellschaft.

Bei der Güterabwägung kommt es auch darauf an, ob nur über den Verdacht einer Straftat berichtet wird, hier gilt immer die Unschuldsvermutung, oder über eine gerichtliche Verurteilung.

Maßgeblich für die Güterabwägung des OLG Hamburg war, dass der Tatvorwurf keine schwere Kriminalität betraf, der Tatvorwurf auch nichts mit dem heutigen Beruf des Verdächtigten in Zusammenhang stand und der mutmaßliche Täter in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt ist.

Das Informationsinteresse der Öffentlichkeit wurde vom Gericht auch deswegen als nicht zu hoch bewertet, da es in der Berichterstattung nicht um das Interesse der Öffentlichkeit an der Aufarbeitung der Stasi-Geschichte ging, sondern um den Verdacht einer falschen eidesstattlichen Versicherung.

Einstellung des Strafverfahrens ist Indiz für geringeres Interesse der Öffentlichkeit an Tat

Unabhängig davon, ob die Berichterstattung über das damals aktuelle Ermittlungsverfahren zulässig war, stellt das Gericht fest, dass der Artikel jedenfalls mit der Einstellung des Ermittlungsverfahrens seine Aktualität verloren hatte.

Auch die Art der Einstellung, die eben kein Freispruch ist, rechtfertigt eine weitere Berichterstattung nicht. Die Einstellung durch die Staatsanwaltschaft zeigt vielmehr, dass hinsichtlich der Tat kein besonderes öffentliches Verfolgungsinteresse bestand. Damit ist auch das Interesse der Öffentlichkeit an einer Berichterstattung darüber als geringer zu bewerten.

Keine zeitlich unbeschränkte Berichterstattung ohne aktuellen Anlass

Nach drei Jahren gibt es auch keinen Anlass für eine Aufrechterhaltung der Berichterstattung. Das Gericht weist auf die Rechtsprechung, die selbst bei verurteilten Tätern aus dem Persönlichkeitsrecht Schutz vor zeitlich unbeschränkte Berichterstattung gibt.

Abzuwägen ist dies mit dem Interesse der Öffentlichkeit, auch zu früheren zeitgeschichtlichen Ereignissen zu recherchieren. Da es sich vorliegend nun um die Berichterstattung über ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren nicht im Bereich der schweren Kriminalität handelte, wären die damaligen Vorkommnisse ohnehin nur von geringer zeitgeschichtlicher Bedeutung gewesen.

Artikel aus dem Internet müssen erst nach Aufforderung gelöscht werden

Auch die eher technischen Belange der Presse sind mit abzuwägen: So kann es für die Presse unzumutbar sein, im Internet dauerhaft eingestellte Informationen regelmäßig auf Rechtmäßigkeit kontrollieren zu müssen. Daher kann eine Pflicht zur Entfernung der nicht mehr aktuellen personenbezogenen Berichterstattung üblicherweise nur in der Form bestehen, dass eine Zeitung nicht ständig alte Artikel überprüfen und ändern, diese aber nach Abmahnung des Betroffenen aus dem Netz nehmen muss.

Da es im Streit nicht nur um eine einmalige Veröffentlichung in der gedruckten Version einer Zeitung ging, sondern der Artikel im Internet dauerhaft abrufbar war, gehen die Ansprüche des Betroffenen weiter. Er kann nicht nur Richtigstellung oder eine Ergänzung, wie im Nachtrag über die Einstellung des Ermittlungsverfahrens geschehen, verlangen. Er hat einen Anspruch darauf, dass der ursprüngliche Artikel im Internet gelöscht wird, soweit er darin identifizierbar ist.

Hanseatisches OLG Hamburg, Urteil vom 29.11.2011, Aktenzeichen 7U 80/11

Vorinstanz: Landgericht Hamburg, 12. August 2012, Aktenzeichen 324 O 203/11

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