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26. 10. 2015 – Urheberrecht/Internetrecht: Amtsgericht Halle (Saale) zur sekundären Darlegungslast bei Filesharing

In den aktuellen Urheberrechtsstreitigkeiten vor Gericht geht es häufig darum, wie ein Anschlussinhaber die Vermutung der Gerichte, dass er auch der Täter der Urheberrechtsverletzung ist (Täterschaftsvermutung), widerlegen kann. Die Gerichte entscheiden teilweise völlig gegensätzlich. Noch ist völlig unklar, was man vor Gericht als Anschlussinhaber vortragen muss, um nicht am Ende zu Schadensersatz verurteilt zu werden, obwohl man selbst gar keine Tauschbörse genutzt hat und damit weder für den download noch den upload urheberrechtlich geschützter Werke verantwortlich ist.

Eine Entscheidung zugunsten eines unschuldigen Anschlussinhabers fällte jetzt das Amtsgericht Halle (Saale) in Sachsen-Anhalt.

Urheberrechtsverletzung über Internetanschluss durch Filesharing – sekundäre Darlegungslast, keine sekundäre Beweislast

Geklagt hatten die Rechtsanwälte Schulenberg und Schenk aus Hamburg wegen einer Abmahnung nach einer Tauschbörsennutzung aus 2010. Der Internetanschluss wurde niemals vom Anschlussinhaber selbst genutzt. Der Anschluss wurde nur von seinem im Zeitpunkt der Urheberrechtsverletzung und Abmahnung bereits volljährigen Sohn genutzt. Die Klage gegen den Anschlussinhaber wurde abgewiesen. Die Enscheidung wurde von Rechtsanwältin Cornelia Schnerch aus Leipzig zugunsten des Anschlussinhabers erstritten, der wir auch herzlich für die Übersendung des Urteils danken.

Hier der Text des Urteils:

Amtsgericht Halle (Saale)
Verkündet am 19.06.2015
91 C 2288/14

Im Namen des Volkes
Urteil

In dem Rechtsstreit

Klägerin

gegen
Beklagter

hat das Amtsgericht Halle (Saale) auf die mündliche Verhandlung vom 19.05.2015 durch den
Richter am Amtsgericht für Recht erkannt:
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung LH.v. 110 %des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

Der Beklagte war im Februar 2010 Inhaber eines Internetanschlusses der Deutschen Telekom AG. Eine von der Klägerin mit der Überwachung des Internets in Bezug auf Urheberrechtsverletzungen beauftragte Firma erfasste am 19.02.2010 gegen 3:43 Uhr einen Internetnutzer, der das Filmwerk „1612 Angriff der Kreuzritter‘ anderen Teilnehmern einer Filesharing Tauschbörse zum Herunterladen anbot. Auf Antrag der Klägerin gestattete das Landgericht Köln mit Beschluss vom 08.03.2010 der Deutschen Telekom AG, der Klägerin Auskunft zu erteilen, welchem Internetnutzer zu diesem Zeitpunkt die IP-Adresse zugeordnet war, über die das Download Angebot erfolgt war. Nach erteilter Auskunft ließ die Klägerin den Beklagten vergeblich durch eine von ihr beauftragte Rechtsanwaltskanzlei zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung und zur Schadensersatzzahlung auffordern.

Die Klägerin behauptet, sie sei alleinige Lizenznehmerin und Inhaberin der ausschließlichen Nutzungs- und Verwertungsrechte für das vorgenannte Filmwerk. Das von ihr ermittelte Auskunft ergebe, vom Internetanschluss des Beklagten ausgegange
dieses Download Angebot selbst geschaffen. Durch das Download Angebot seien der Klägerin ein Lizenzschaden LH.v. 157,80 Euro und Abmahnkosten LH.v. 807,80 Euro entstanden.

Die Klägerin beantragt,
1. den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin Schadensersatz LH.v. 157,80 Euro
nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten zu zahlen,
2. den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin auflergerichtliche Rechtsanwaltskosten
i.H.v. 807,80 Euro nebst Zinsen LH.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit
Rechtshängigkeit zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte behauptet, er habe seinen Internetanschluss niemals selbst genutzt. Der Anschluss sei vielmehr nur von seinem bereits damals volljährigen Sohn genutzt worden. Dieser habe ihm gegenüber verneint, dass streitgegenständliche Filmwerk heruntergeladen
und zum Download bereitgestellt zu haben. Er habe zuvor keinerlei Anlass zu der Annahme gehabt, dass sein Sohn über den Internetanschluss Urheberrechtsverletzungen begehen würde. Insbesondere habe er keinerlei anderweitige Abmahnungen erhalten, die auf derartige Aktivitäten des Sohnes hingedeutet hätten. Der Internetanschluss sei ausschließlich über eine Kabelverbindung hergestellt worden; ein drahtloses Netzwerk (W-LAN) habe der Beklagte nicht betrieben.
Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die vor- und nachbereitenden Schriftsätze sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 19.05.2015 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

1.Der Klägerin steht ein Anspruch auf Ersatz des Lizenzschadens sowie ein Anspruch auf
Ersatz entstandener Abmahnkosten aus § 97 Abs. 2 UrhG nicht zu, weil die von ihr angebotenen Beweise zum Nachweis einer dem Beklagten zurechenbaren, rechtswidrigen und schuldhaften Verletzung ihrer Rechte durch das Downloadangebot vom 19.02.2010 nicht ausreichen.

Selbst wenn man als zutreffend unterstellt, dass zum fraglichen Zeitpunkt am 19.02.2010 über einen dem Beklagten zuzuordnenden Internetanschluss ein Downloadangebot
des in Rede stehenden Filmwerks erfolgt ist und die Klägerin Inhaberin der Rechte an
diesem Filmwerk ist, so muss dieses Angebot nicht notwendigerweise durch den Beklagten
selbst veranlasst oder auch nur geduldet worden sein. Vielmehr ist die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass das Downloadangebot ohne Wissen des Beklagten durch seinen im Rechtsstreit namentlich benannten Sohn oder aber durch einen unbekannten Dritten geschaffen worden ist, der sich missbräuchlich Zugang zum Internetanschluss des Beklagten verschafft hat. Das Gericht folgt der vom OLG Hamm und vom OLG Köln vertretenen Auffassung, dass ein Internetnutzer, über dessen Anschluss ein solches Download Angebot erfolgt ist, seiner sekundären Darlegungslast genügt, wenn er seine Täterschaft bestreitet und darlegt, dass seine Hausgenossen selbstständig auf den Internetanschluss zugreifen konnten (vergleiche OLG Hamm, Beschluss vom 04.11.2013 zum Aktenzeichen 1- 22W 60/13, OLG Köln, NJWRR 2012,1327). Diesen Anforderungen hat der Beklagte im Rechtsstreit genügt. Anlass zur Vernehmung des von ihm als Zeugen benannten Sohnes bestand nicht, denn den Beklagten trifft lediglich eine sekundäre Darlegungslast, keine sekundäre Beweislast.

2. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Ersatz der ihr durch die streitgegenständliche
Urheberrechtsverletzung entstandenen Abmahnkosten aus §§ 677, 683 S. 2, 670 BGB (§ 97
a Urheberrechtsgesetz in der Fassung vom 01.10.2013 war zum Zeitpunkt der in Rede stehenden Urheberrechtsverletzung noch nicht in Kraft gesetzt). Eine solche Haftung würde voraussetzen, dass der Beklagte allein aufgrund der Tatsache, dass unter Verwendung seines Internetanschlusses eine Urheberrechtsverletzung begangen worden ist, als Störer im Sinne der§§ 1004, 823 BGB anzusehen ist. Als Störer kann nach der Rechtssprechung des BGH bei der Verletzung absoluter Rechte auf Unterlassung in Anspruch genommen werden, wer ohne Täter oder Teilnehmer zu sein – in irgendeiner Weise willentlich und adäquat kausal zur Verletzung des geschützten Rechts beiträgt. Dabei kann als Beitrag auch die Unterstützung oder Ausnutzung der Handlung eines eigenverantwortlich handelnden Dritten genügen, sofernder Inanspruchgenommene die rechtliche und tatsächliche Möglichkeit zur Verhinderung dieserHandlung hatte. Da die Störerhaftung nicht über Gebühr auf Dritte erstreckt werden darf, die weder als Täter noch als Teilnehmer für die begangene Urheberrechtsverletzung in Anspruch genommen werden können, setzt die Haftung als Störer nach der Rechtsprechung des BGH die Verletzung zumutbarer Verhaltenspflichten, insbesondere von Prüfungspflichten voraus.

Ob und inwieweit dem als Störer in Anspruch Genommenen eine Verhinderung der Verletzungshandlung des Dritten zuzumuten ist, richtet sich nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalles unter Berücksichtigung seiner Funktion und Aufgabenstellung sowie mit Blick auf die Eigenverantwortung desjenigen, der die rechtswidrige Beeinträchtigung selbst unmittelbar vorgenommen hat (vergleiche BGH Entscheidungen „Sommer unseres Lebens“ und „Baershare“). Ein derartiger willentlicher und adäquat kausaler Beitrag des Beklagten zu der in Rede stehenden Urheberrechtsverletzung steht im vorliegenden Fall nicht fest. Er könnte nach dem unstreitigen Sachverhalt allenfalls darin gesehen werden, dass der Beklagte seinem volljährigen Sohn die Nutzung des Internetanschlusses ermöglicht hat, ohne ihn auf die Gefahr von Urheberrechtsverletzungen im Internet hinzuweisen. Dies reicht aber nach der Rechtsprechung des BGH (Baershare) zur Begründung einer Störerhaftung gerade nicht aus.

Der Inhaber eines Internetanschlusses ist grundsätzlich nicht verpflichtet, volljährige Familienangehörige über die Rechtswidrigkeit einer Teilnahme an Internet Tauschbörsen oder von sonstigen Rechtsverletzungen im Internet zu belehren und Ihnen die Nutzung des Internetanschlusses zur rechtswidrigen Teilnahme an Internet Tauschbörsen oder zu sonstigen Rechtsverletzungen im Internet zu verbieten, wenn keine konkreten Anhaltspunkte für eine solche Nutzung bestehen. Solche Anhaltspunkte bestanden nach dem Sachvortrag des Beklagten nicht und die Klägerin bietet im Rechtsstreit keinen geeigneten Beweis an, um diesen Sachvortrag zu widerlegen.

Eine Störerhaftung des Beklagten in dem oben dargelegten Sinne kann auch nicht aus einer
unzureichenden Sicherung seines Internetanschlusses abgeleitet werden, denn auch eine
solche unzureichende Sicherung steht nicht fest. Der Beklagte hat nach eigenem Sachvortrag keinen W-LAN Funknetz betrieben. Die ihm obliegende sekundäre Darlegungslast kann daher auch keine Ausführungen zur Sicherung eines solchen Funknetzes umfassen. Weitere Darlegungen zur Art und Weise der Sicherung des Anschlusses sind dem Beklagten nach Auffassung des Gerichts jedenfalls so lange nicht zumutbar, wie die Klägerin nicht eine durch zumutbare Maßnahmen des Beklagten vermeidbare konkrete Sicherheitsl¸cke darlegt, die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit zum Missbrauch des Anschlusses des Beklagten geführt haben kann. Eine derartige Sicherheitslücke hat die Klägerin im vorliegenden Fall nicht dargelegt.

Ein Anspruch der Klägerin auf Ersatz von Abmahnkosten unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der Geschäftsführung ohne Auftrag ist daher zu verneinen. Es bedarf somit keiner Erörterung, ob den Beklagten eine sekundäre Darlegungslast hinsichtlich der Sicherung seines Anschlusses überhaupt trifft, solange nicht feststeht, dass das in Rede stehende Download Angebot überhaupt durch missbräuchliche Nutzung des Anschlusses durch außentstehende Dritte geschaffen worden ist.

Die Klage war daher abzuweisen.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Rechtsbehelfsbelehrung

Diese Entscheidung kann mit der Berufung angefochten werden. Sie ist einzulegen innerhalb einer Notfrist von einem Monat bei dem Landgericht Halle, Hansering 13,06108 Halle (Saale).

Die Frist beginnt mit der Zustellung der in vollständiger Form abgefassten Entscheidung. Die Berufung ist nur zulässig,
wenn der Beschwerdegegenstand 600,00 Euro übersteigt oder das Gericht die Berufung in diesem Urteil zugelassen hat. Zur Einlegung der Berufung ist berechtigt, wer durch diese Entscheidung in seinen Rechten beeinträchtigt ist.
Die Berufung wird durch Einreichung einer Berufungsschrift eingelegt. Die Berufung kann nur durch einen Rechtsanwalt eingelegt werden.

….
Richter am Amtsgericht

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